1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

13.8.1914 Auf dem Feld vor Lüttich

/ / 1. Vormarsch im Westen. 9.8.14 - 6.9.14

Nachts: Während ich nun diese Zeilen niederschreibe, dröhnt neben mir das Feuer unserer Haubitzbatterien.

Seit gestern knallt es hier aus allen Winkeln des Geländes. Die Feldartillerie blieb selbst während der Nacht nicht ruhig, und heute morgen haben auch die anderen Batterien, besonders die schweren, das Feuer auf die Forts der vor uns liegenden Festung Lüttich wieder aufgenommen.

Das Nachtlager war mehr als primitiv. Ich hatte mich in eine Zeltbahn eingedreht und lag so in einer Ackerfurche unter Gottes freiem Himmel. Trotz der Müdigkeit verfiel ich nur in einen leichten Halbschlaf, denn einmal war es in der Nacht empfindlich kühl geworden, zum anderen wurde ich wiederholt hochgeschreckt durch feindliche Schrapnells, die sich über uns hinweg in das Hintergelände verirrten.

Kurz nach Eintritt der Dunkelheit hieß es sogar, feindliche Kavalleriepatrouillen seien im Anmarsch. Doch müssen sie wohl von unserer Infanterie rechtzeitig und gebührend empfangen worden sein, so dass der Alarm wieder abgeblasen werden konnte.

Solange wir noch keinen Verwundeten oder Toten in der Batterie haben, hat alles frohen Mut. Wer weiss aber, wie lange dieser Zustand nahalten wird. Auch heute morgen pfeifen wieder die Granaten über unsere Köpfe hinweg. Soeben schlug eine von ihnen 200m hinter uns ins Gebüsch. Ein Bruchstrich weniger an der Höhenrichtungsmaschine des feindlichen Geschützes – und die nächste liegt mitten in unserer Batterie.

Glücklicherweise kommen die Belgier nur noch wenig zum Schuss. Unsere Artillerie behämmert sie von allen Seiten.

Die an einem Abhang vor uns liegende eigene Beobachtung meldet, dass aus einem der Forts ein Panzerturmgeschütz immer wieder versucht, sich hochzuwinden und uns zu kitzeln. Sobald aber die Kuppe aus dem Erdboden herausschaut, liegt schon unsere nächste Salve dort, worauf die Belgier schleunigst wieder verduften.

Gegen halb 12 Uhr mittags wird uns von der Front die Erfreuliche Nachricht übermittelt, dass das von uns mit Unterstützung der Feldartillerie und der Mörser vollständig zusammengeschossene Fort in unsere Hände übergegangen ist. Ein Infanterieangriff auf das andere wurde leider abgewiesen. Daraufhin erfolgt jetzt ein neues Bombardement, meist in Rollsalven des Bataillons. Das Gedröhn der 16 Geschütze hintereinander klingt unheimlich.

3 Uhr nachmittags:  Die Gesamtlage ist noch unverändert. Ich habe Zeit, die Landschaft vor mir zu betrachten.

Ein trauriges Bild: Die Felder stehen in schönster Frucht und wollen geerntet werden – die Kühe laufen scharenweise auf den Weiden herum und möchten gemolken sein. Doch niemand kümmert sich um Haus und Hof, denn die Bauern sind fast alle in das Innere des Landes geflüchtet.

Viertel vor 5 nachmittags: Das letzte von uns beschossene Fort – anscheinend das stärkste – hat sich noch nicht ergeben. Das Feuer der Haubitzen ist inzwischen eingestellt worden. Die Mörser sind näher nach vorn gerückt. Nur ab und zu fällt von innen ein Schuss. Die Infanterie tastet die sturmreif geschossenen Stellungen des Feindes ab, um festzustellen, ob noch Leben darin ist.

8 Uhr abends: Wir verharren noch immer untätig, haben aber mittlerweile unsere Geschütze marschbereit gemacht. Eben kommt der Befehl, wieder abzuprotzen und Biwak aufzuschlagen. Wir gehen heute also nicht weiter.

Wie ich erfahre, sind noch 2 Forts zu stürmen. Das eine von beiden hatte nach stärkster Beschiessung durch unsere Artillerie die weisse Flagge gehisst. Nachdem daraufhin unsere Truppen in friedlicher Absicht bis auf 300m herangegangen waren, eröffneten die Belgier plötzlich wieder das Feuer und warfen auch mit Handgranaten. Der Erfolg war schaurig. Unsere Infanterie wurde reihenweise niedergemäht und mit schweren Verlusten zurückgeworfen. Nun haben wir ihnen Tod und Verderben geschworen. Sobald das Fort gestürmt werden sollte, gibt es kein Pardon mehr.

  1. Zur Einordnung dieses und der folgenden Tagebuchbeiträge in den Gesamtzusammenhang gibt es bei Wikipedia zwei recht gute Artikel über die Eroberung von Lüttich bzw. die Einnahme des Festungsrings um Lüttich:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Eroberung_von_L%C3%BCttich_%281914%29

    http://de.wikipedia.org/wiki/Festungsring_L%C3%BCttich

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  2. Bei den drei Forts, die von dem Feld vor Olne beschossen wurden, handelt es sich wahrscheinlich um die Forts Evegnée, Fléron und Chaudfontaine, wobei das Fort Fléron mit gut vier km Entfernung wohl am nächsten lag und selbst auf die Batterie zurück geschossen haben könnte. Die beiden anderen Forts sind beide gut sechs Kilometer entfernt, könnten aber noch in der Reichweite der Batterie gelegen haben . Ein viertes Fort, Embourg, war aber mit rund acht Kilomtern Entfernung wohl schon zu weit weg.
    Alle Forts können auf Google Earth noch problemlos (zumindest an ihren Umrissen) ausgemacht werden.
    Ft. Chaudfontaine: 50° 35′ 27,37“ N 5° 38′ 28,4“ O
    Ft. Fléron: 50° 37′ 03,19“ N 5° 41′ 31,43“ O
    Ft. Evegnée: 50° 38′ 44,89“ N 5° 42′ 46,37“ O
    Ft. Embourg: 50° 34′ 54,22“ N 5° 37′ 04,56“ O

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  3. Sehr interessante Schilderung der Ereignisse.

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