1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

21.3.1918 Gottseidank! Eine jede Kugel trifft ja nicht! (Verletzung Teil 1)

/ / Nochmals nach dem Norden (Cambrai) 20.1.18-26.3.18

Gottseidank! “Eine jede Kugel trifft ja nicht!”

Wäre es anders, unsere gesamte Batterie gehörte längst der Vergangenheit an. Wir lägen vielleicht zerfetzt in irgendeiner Erdfalte der Champagne, oder an der Aisne, an der Somme, vor Verdun oder im fremden Land.

Aber trotzdem, “eine Kugel trifft bestimmt einmal”, wenn man Tag um Tag und Jahr um Jahr von Front zu Front geworfen wird.

Wie war es doch gleich mit jenem Batterieschuster in einer Nachbarbatterie unseres Regimentes?

Er hatte sogar einen hübschen Druckposten weit hinter der Kampflinie inne. Er pinnte darauf los, was das Zeug hielt. Noch nie im Leben war sein Kundenkreis so groß und dankbar gewesen wie hier im Felde. Der Krieg hätte seinetwegen ein Menschenlang währen können.

Und doch war es eines Tages mit seinem Schusterdasein aus.

Als wir zum Verlassen der Verdun-Front rüsteten, schaute er aus seinem Ruhelager einem Luftkampf zu, an dem sich unter anderem auch eine unserer Revolver-Abwehrbatterien beteiligte. Die Flugzeuge tummelten wild durcheinander. Sie wurden nicht getroffen.

Aber der unschuldige Batterieschuster, der musste dran glauben. Ein zur Erde zurückkehrendes Vollgeschoss durchschlug ihm unvermittelt den Schädel.

So konnte es gar nicht ausbleiben, dass auch mich an der Front das Schicksal endlich erreichte.

Wie alles kam, sei kurz berichtet. Die wenigen – mit der linken Hand geschriebenen – Aufzeichnungen geben mir heute die Möglichkeit meinem Tagebuch damit nachträglich einen gewissen Abschluss zu verleihen.

Es blieb mir auch das Letzte nicht erspart.

Die Offensive sollte am 21.3.1918 endlich steigen. Die Spannung, die uns alle nach und nach ergriffen hatte und bis aufs höchste gestiegen war, bedurfte einer Entlastung. Es ging uns wie einem überhitzten Dampfkessel, der ein Ventil braucht, um seine aufgespeicherte Kraft loszuwerden.

Wir rückten am 20.3. bei Einbruch der Dämmerung in unsere Stellung ein, brachten noch sämtliche Geschütze und Munitionsbestände in Ordnung und legten uns dann gegen 2 Uhr morgens zur Ruhe.

Um 5 Uhr waren wir wieder auf den Beinen.

5:05 Uhr begann das Artilleriefeuer. So planmäßig, wie es von oben herab angeordnet war, verlief unser Schießen jedoch nicht.

Nicht lange dauerte es, da saßen unsere schweren Geschütze im Dreck. Bei jedem Schuss kamen sie von der einfachen Bohlen-Bettung mehr und mehr ab. Das fortgesetzte Unterlegen weiterer Bohlen half nur wenig.

Die Kanoniere arbeiteten und schwitzten bald, was das Zeug hielt. Die vorgeschriebene Zahl Munition musste bis zur bestimmten Stunde hinausgejagt sein. Da gab es kein langes Überlegen und mathematisches Berechnen, mit welchen Mitteln wohl den Übelständen am besten abgeholfen werden könnte, sondern nur ein entschlossenes Zupacken mit Händen und Fäusten.

Mittlerweile waren die Engländer munter geworden. Dieser plötzliche Eisenhagel aus tausenden von Schlünden gab für sie nur eine Deutung. Sie wussten, was die Glocke geschlagen hatte und wehrten sich verzweifelt.

Bald schlugen links und rechts, vor und hinter uns ihre Granaten ein. Hier und da flammte ein Munitionsstapel auf. Abschüsse und Detonationen suchten einander zu übertönen.

Unsere eigene Artillerie arbeitete zum großen Teil mit Gasgeschossen. Man ging aufs Ganze — vielleicht, dass die Front endlich ins Rollen kam. Leider war uns der Wind ungünstig. Er blies uns den ganzen Dreck wieder zurück und zwang uns selbst, die Gasmasken aufzusetzen.

Ein jeder aber, der die Dinger aufgehabt hat, weiss, dass man selbst bei ruhigem Verhalten darunter zu schwitzen beginnt und die Luft knapp wird. Beim Springen vom Geschütz zu Geschütz und zu den Geschossstapeln, beim Schleppen der schweren Munition, beim Herausziehen der in den Dreck versackten Kanonen wurden sie uns doppelt zur Qual.

Das Blut schwoll in den Adern, die Brust rang verzweifelt nach Atem, der Dunst verdichtete sich an den inneren Augengläsern zu dicken Tropfen und gewährte kaum noch Ausblick.

Ringsum aber dröhnten die Geschütze, rollte die Erde, zitterte die Luft, als sei der Weltenuntergang da. Nur noch mechanisch arbeiteten Körper, Hände und Beine – die Gedanken waren wie in einer anderen Welt. Wir sehnten die Stunde herbei, zu der die Artillerievorbereitung planmäßig zu Ende sein musste. Die Zeit wurde uns zur Ewigkeit.

2 Stunden mochten wir wohl schon im Gas gehockt haben. Die Maske brannte an den Stellen, an denen sie die Kopfhaut berührte, wie Feuer. Die Geschütze waren kaum noch von der Stelle zu bringen. Die Kanoniere dampften wie die Fabrikschornsteine.

Da schlug mir plötzlich einer mit voller Gewalt an den linken Knöchel, dass ich zusammenknickte. Ich schrie auf und wollte dem Kerl eins versetzen – ich schlug daneben. Es war niemand in meiner Nähe.

Nur ein ganz dummes, einfältiges Sprengstück hatte sich einen Scherz mit mir erlaubt. Der Sprung von Acker zu Acker hatte die Gewalt des Fluges zwar gemindert, so dass es nicht mehr dazu reichte, den schweren Lederstiefel zu durchschlagen. Ich dankte trotzdem.

Am liebsten wäre ich auf der Stelle abgehauen. Was aber sollten die übrigen Kameraden noch sagen? Noch war jeder von uns zu seinem Platze notwendig. Also blieb ich – es war mein Verhängnis.

Wenige Minuten später knallte es scharf hinter mir. Ein zweiter Granatsplitter schwirrte an, zerschnitt mir Knochen und Sehnen des rechten Daumens, schlug durch den rechten Oberschenkel und setzte sich dort unter der hinteren Haut fest.

Ich sackte wie vom Blitz getroffen zu Boden, sprang instinktiv wieder in die Höhe, doch Kraft und Wille waren besiegt, besiegt durch einen lumpigen Eisensplitter. Es war nur ein letztes zweckloses Aufbegehren gegen das Schicksal.

Tausenderlei Gedanken durchjagten mein Hirn. Was sollte nun werden?

Da standen auch schon ein paar meiner Kameraden neben mir und zerrten mich in eins der nächsten Granatlöcher. Ich werde ihnen ewig dankbar sein für die rührende Liebe und Sorge, mit der sie mich umgaben.

Eine Bahre aus dem nächsten Unterstand war schnell zur Stelle und kurz darauf lag ich wohlgeborgen im Stollen.

Endlich konnte ich die Gasmaske abnehmen und schon stellten sich auch die ersten Wundschmerzen ein, von denen ich in der ersten Aufregung eigentlich gar nicht so viel gespürt hatte. Der Blutverlust war stark und schwächte. Einige Verbandspäckchen beugten weiterem Unheil vor.

Wie aber sollte ich von der Front fortkommen, da draußen die Schlacht unentwegt weitertobte?

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 23.3.

  1. Uih mit cliffhanger das ist ja jetzt echt dramatisch….

    (Danke hatte ich zwar schon mal gesagt kann man nicht oft genug tun – lese schon von Anfang an fasziniert mit großartiges Projekt!)

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  2. Ein beeindruckender Eintrag. Dies deshalb, weil er mit dem Schicksal des Schusters beginnt, obwohl Ernst Pauleit ja unmittelbar vor dem Tagebucheintrag selbst verwundet worden ist.
    Bei dieser Gelegenheit herzlichen Dank für die Veröffentlichung des Tagebuchs! Vom ersten Tag an habe ich die Einträge gelesen. Ich bin neugierig auf die weiteren Einträge!

    Antworten

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