1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

25.8.1917 Hals über Kopf

/ / 21.7.-1.11.1917 Verdun

Hals über Kopf nach und von der alten Beobachtung. Neue Beobachtung auf der “Kronprinzenhöhe”

Nachdem ich genau einen Tag in Ruhe war, bin ich heute schon wieder zur Batteriestellung kommandiert worden. Diese liegt jetzt zweieinhalb Kilometer hinter der bisherigen, mitten auf einer kleinen Anhöhe, ohne jede Deckung. Der Einbau der Geschütze ist bereits in Angriff genommen.

Es scheint aber eine brenzliche Ecke zu werden. Das habe ich besonders gestern nachmittag spüren können, als ich meinen einzigen Ruhetag auch noch dazu benutzen musste, zusammen mit anderen Kameraden die in der alten Bobachtung liegen gebliebenen Beobachtungs- und Fernsprechgeräte zurückzuholen.

Schon beim Anmarsch gab es überraschend eine Sendung Gasgranaten. Es gelang mir nicht gleich, meine Gasmaske aufzuziehen und so schluckte ich erst ein paar kräftige Züge von diesem Gift ein.

Aber – pfui Teufel – das Zeug schmeckte schauderhaft. Mir wurde grün und blau vor den Augen. Es war, als legte sich eine eiserne Klammer um meine Brust, die sich immer fester zusammenzog und mir die Glieder lähmte.

Nur mit Mühe konnte ich die Maske endlich überstülpen – und bald atmete ich wieder freier. Dennoch danke ich bestens für eine Wiederholung.

Es ist nur gut, dass man bei jedem Gang nach vorn “zwangsweise” und unter Strafandrohung so’n Ding angehängt kriegt – sonst wäre es diesmal mit mir bestimmt aus gewesen!

Nach diesem unangenehmen Vorspiel, das uns zu schleunigstem Rückzug zwang, versuchten wir unser Glück zum 2. Male. Sobald der nächste Feuerüberfall auf den Forges-Wald beendet war, ging es über eine freiliegende Anhöhe und dann durch eine enge Waldschneise Hals über Kopf nach der Beobachtung.

In fliegender Hast wurde das ganze Gerümpel aufgeladen – und keine Minute zu früh oder zu spät verließen wir diese ungastliche Stätte. Noch während wir im Galopp davonrasten, war der nächste Granatensegen da. Zwar kribbelte es uns nicht wenig in den Haarspitzen, doch ging mal wieder alles gut.

Jetzt ist die Beobachtung weiter rückwärts auf der “Kronprinzenhöhe” untergebracht.

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 26.8.

  1. Täusche ich mich oder ist das jetzt der erste Gasangriff, den Ernst direkt erlebt und vom Aufsetzen der Gasmaske berichtet?

    Klingt in seiner Beschreibung wie nix Besonderes, denn schon ist er im beschreibenden Alltagstrott zurück, als sei das nur eine Art Hustenlöser gewesen, 2 Sätze zu einem Moment nahe am Tod.

    Ungewöhnlich für einen für ihn sicherlich intensiven Moment im Leben. Vielleicht auch eine Folge des Lebens in permanenter Existenzangst, wo die Erleichterung im Moment des Überlebens von der nächsten Welle an Angst oder Bedrohung überrollt wird und ihn zurück ins Leben in Gefahr wirft wie ein Schutzmechanismus.

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    • Ich glaube in unserer heutigen Betrachtung sind Gasgranaten schlimmer als es für die Leute damals war (ohne mich dabei auf Fakten berufen zu wollen).
      Insgesamt war aber die Todesrate durch Gasgranaten „relativ“ gering im Vergleich zu dem restlichen Scheiß den man denen um die Ohren geschmissen hat.
      Ich möchte damit im übrigen kein Statement zur moralischen Seite von gaswaffen machen.
      Um ehrlich zu sein beeindruckt mich am meisten die Momente in denen er einfach ohne Schutz auf Beobachtung liegt und Artilleriefeuer über sich ergehen lässt. Ich möchte da nur auf diesen Moment verweisen in dem er auf einem Baum saß…

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  2. Die Jungs haben den Tod hundertfach gesehen, sie haben mit im gelebt, gegessen und geschlafen! Ich glaube wenn man maximal traumatisierte ist kann einen nichts mehr um werfen! Die haben zwischen verwesenden Leichen gelebt!!

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    • Ja, mag sein, was die Beobachtung an anderen oder von Leichen angeht, nur ist die persönliche Bedrohung doch noch mal etwas anderes, denn während man ein Schrapnell nicht vorbeifliegen sieht, sondern nur das Vorbeipfeifen hören, aber in Distanz kaum einschätzen / greifen kann, ist die Situation bei einschlagenden Giftgasgranaten und bereits eingeatmetem Giftgas doch noch etwas anderes.
      Ich kann mich dran erinnern, wie übel es war, in einem dunklen Tunnel erfahren zu müssen, dass meine Gasmaske undicht war.

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