1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

7.7.1915 Die österreichischen Kameraden

/ / Am Isonzo 1.7.1915-31.3.1916

Die österreichischen Kameraden. Schwierigkeiten des Kampfes im Süden. Harte Kriegsjustiz.

Wecken 6 Uhr. Schlaf wiederum ausgezeichnet.

Wir gewöhnen uns allmählich an unsere neue Umgebung, die uns viel Interessantes bietet. Im Ort liegen außer uns österreichische Truppen aller Art, teils in Häusern, meist aber wie wir im Freien.

Die Eigenart der Gegend erfordert eine besondere Anpassung des ganzen Kriegslebens. Erhebliche Schwierigkeiten bereitet dabei der Transport von Lebensmitteln und Material zur Front. Die ersteren werden in kleinen Gebirgswägelchen nach vorn geschafft. Die Infanterie- und Artilleriemunition aber findet Platz auf dem Rücken kleiner, allerliebster Pferdchen, die nur zu zweien und dreien von Soldaten mit und ohne Uniform (nicht gerade den intelligentesten) zu den Stellungen begleitet werden.

Unsere starke belgische Rasse schaut wie die Riesen mitleidig auf ihre Kollegen herab — und dennoch habe ich das Gefühl, als ob auch im Tierreich der David den Goliath überwinden könnte.

Die österreichischen Truppen, gleich welcher Nationalität, bereiten uns übrigens eine außerordentlich herzliche Auf- und Anteilnahme. Ihre vielseitigen Sprachkenntnisse ermöglichen es erst, auch mit der Bevölkerung einigermaßen in Verbindung zu treten

Über die Kriegslage selbst erfahren wir zunächst wenig. Wir wissen nur, dass die Italiener noch immer nicht im Besitze des etwa 8 km von hier entfernt liegenden Görz sind, obwohl sie seit Wochen ein mörderisches Artilleriefeuer auf die österreichischen Stellungen werfen und ununterbrochen angreifen.

Die Verluste unserer Bundesgenossen sind dabei beängstigend. Meist haben die Verwundeten aber nur leichtere Schramm- und Quetschwunden, die durch die zahlreich herumfliegenden Steintrümmer des Karstes entstehen und sie durchweg nur für kurze Zeit kampfunfähig machen. Das Artilleriefeuer richtet jedenfalls nicht den hundertsten Teil des Schadens an, den der ungeheurere Aufwand eigentlich bringen müsste.

Die Österreicher andererseits kämpfen tapfer. Leider werden sie bei ihrem reichen Völkergemisch um manchen Erfolg gebracht, da es oft schwer hält, eine einheitliche Gewalt über die Truppen zu erlangen. Auch scheint es mir fraglich, ob die einzelnen Volksstämme gleichmäßig zuverlässig sind, wie es mir ebenso zweifelhaft ist, ob die Österreicher den Italienern gegenüber materiell genügend in die Waagschale zu werfen haben.

Heute morgen flog beispielsweise ein italienischer Flieger über unser Lager, so tief und unbekümmert, dass mir sozusagen die Spucke wegblieb. Er konnte bei einer Höhe von 5-600m ungestört seiner Tätigkeit nachgehen, weil Flugzeugabwehrgeschütze nur schwach vertreten sind und außerdem den übrigen Truppen das Beschießen mit Gewehren verboten ist.

Während des Nachmittages nehme ich ein erfrischendes Bad in der Wippach, einem Nebenfluss des Isonzo. Zu derselben Zeit feuern die Italiener wieder lebhaft nach Görz und auf die verschiedensten Batteriestellungen in der Umgebung. Oft fallen auch unzählige Granaten auf den gleichen Fleck — ohne, dass dort das geringste Beschießbare steht.

Am Abend habe ich die Gelegenheit, österreichische Kriegsjustiz kennen zu lernen. Sie ähnelt der unseren.

Mehrtägige Arreststrafen müssen in letzter Zeit abgekürzt werden. Wir tun dies, indem wir den Arrestanten (ersatzweise für 1 Tag Arrest je 1 Stunde) stehenden Fußes an einem Baum oder Wagenrad festbinden.

Bei unseren Bundesgenossen aber erinnert dieses Anbinden nicht wenig an die Tortur des Mittelalters, denn zu der öffentlichen Brandmarkung kommt noch eine körperliche Züchtigung unmenschlicher Art. Der Missetäter erhält einen Strick um den Leib und die Fußgelenke. Die Hände werden ihm auf dem Rücken zusammengebunden. Und von hier aus wird er dann an dem Ast eines Baumes genau so hoch befestigt, dass er im Hängen den Erdboden nur mit den Fußspitzen berührt.

Es war kein Wunder, dass der heute Aufgeknüpfte, ein junger Mensch von vielleicht 18 Jahren, von seiner 2stündigen Strafe (gleich 12 Tage strengem Arrest) nur 20 Minuten verbüßen konnte und dann ohnmächtig von seinen Fesseln befreit werden musste.

Ich kenne weder die Ursache dieser harten Maßregel, noch weiß ich, ob die Strafe durch das vorzeitige Schlappmachen als abgebüßt gilt. Das eine aber ist mir klar, dass ich sie angesichts der täglichen und stündlichen Gefahr vor dem Feinde als unangebracht bezeichnen muss. — Ist das der Weg, sich freudige Mitkämpfer zu erziehen und zu erhalten?

Vor Tagesschluss ist noch zu berichten, dass unsere Anschrift nunmehr wie folgt festgelegt worden ist:

“Bespannte Fußartillerie-Batterie Nr. 106”

57. Infanterie-Division

Österreichische Feldpost Nr. 95

Die Hitze war übrigens auch heute wieder unerträglich. Um 10 Uhr liege ich im Zelt.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 8.7.

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