1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

3.4.1915 Das idyllische Waldhüttendorf

/ / In der Champagne 27.3.15 – 30.6.15

Auf zur Protzensammelstelle – dem idyllischen Waldhüttendorf

Villa Friedstein

Villa Friedstein

Wir schiessen heute auf den Sammelplatz “Franzosennest”. Zum Dank dafür bekommt unsere Beobachtung mehrfach Feuer, weshalb wir wiederholt auf dem Trab sind, um die Fernsprechleitung dorthin zu flicken.

Auch die Verpflegung gerät in dieser Gegend in Unordnung. Da eine Zufuhr am Tage wegen eines völlig ungedeckten Geländes nicht möglich ist, müssen wir den Kaffee vom vergangenen Abend des Morgens aufwärmen. Mittagessen: Brot mit Kompetenzen.*

Und erst am Abend gibt es etwas Warmes aus der Feldküche.

Meine Tätigkeit in der Batterie ist jedoch mit dem heutigen Tage bereits beendet. Ich werde abgelöst, ziehe mit Einbruch der Dunkelheit zur Protzensammelstelle — und bin nicht wenig erstaunt, hier genau das Gegenteil von der Geschützstellung, ein idyllisches Waldhüttendorf, vorzufinden.

Die Mannschaften liegen in einzelnen Bretterbuden, die entlang einem Waldweg teils in die Erde eingebaut wurden, teils frei herausragen. Mit Moos abgedeckte Wellblechdächer schützen vor Nässe.

Mein Heim, das ich zusammen mit dem Feldwebel und dessen Burschen teile, trägt sogar den edlen Namen “Villa Friedstein”. Die Einrichtung ist einfach, aber für unsere, im Laufe der Zeit schon wesentlich bescheidener gewordenen Ansprüche durchaus genügend. Ein kleines Kanonenöfchen strahlt behagliche Wärme aus. Nur schade, dass es zum Schutz gegen Fliegersicht lediglich von 7 Uhr Abends bis 7 Uhr morgens geheizt werden darf.

Für die Pferde sind dicht neben den Mannschaftsunterkünften Ställe einfachster Art eingerichtet worden. Da sie lediglich mit Dachpappe bedeckt und ringsum nur mit Ästen und Zweigen verkleidet, also sehr feucht und auch nicht zugdicht sind, befürchten wir allgemein Erkrankungen.

Weitere Bedenken werden ausgelöst durch die schlechten Wasserverhältnisse. Auch in der Sammelstelle muss das Wasser morgens und abends eine Dreiviertelstunde weit herangeschleppt werden.

Um 11 Uhr abends liege ich in meiner Koje. Über sie habe ich keinerlei Klage zu führen, zumal es mir möglich ist, hier während der Nacht meine Kleider abzulegen und mich ohne Sorgen in meine vier Decken einzudrehen.

*Anmerkung: Es gab zu dieser Zeit Kompetenzüberschreitungen verschiedener Ämter und es handelt sich hierbei um eine kleine Anspielung darauf, dass nicht so ganz klar ist, woher das Brot kommt.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 4.4.