1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

26.8.1914 Über Beugnies nach St. Aubin.

/ / 1. Vormarsch im Westen. 9.8.14 - 6.9.14

Über Beugnies nach St. Aubin. Zahlreiche Flüchtlinge. Magen verkorkst. 

11 Uhr vormittags: Unsere Batterie gilt seit gestern als selbstständige Truppe innerhalb der 14. Division. Ihr ist heute die Hälfte der leichten Munitionskolonne zugeteilt worden. Das deutet auf einen weiteren großen Marsch.

Bis jetzt sind wir allerdings nur ein verhältnismäßig kleines Stück vorgerückt. Wir liegen schon seit zweieinhalb Stunden untätig in Beugnies.

Auch hier stellen wir fest, dass der größte Teil der Bewohner in übergroßer Angst vor den Deutschen geflüchtet ist und alles im Stich gelassen hat. Esswaren gibt es in Hülle und Fülle. Warum sollten wir sie verderben lassen und hungern? Wir laden deshalb auf, was die Protzen fassen.

In einem größeren Gehöft wird sogar ein Kleinauto aufgetrieben. Sämtliche Benzinkannen sind zwar vorsichtshalber geleert. Nachdem einer der Kameraden, ein gelernter Chauffeur, ungefähr eine halbe Stunde herumgekurbelt hat, springt aber auf einmal der Motor an. Man hatte vergessen, auch hier den Brennstoff herauszulassen – und nun jöckelt der Karren lustig in unseren Reihen mit.

Halb 4 Uhr Mittags: Wir haben Beugnies inzwischen verlassen und löffeln augenblicklich auf freier Straße unser Mittagessen (Suppe mit Schweinefleisch. Dann geht es weiter.

3 Uhr nachmittags treffen wir in St. Aubin ein. Eine Gefechtstätigkeit kommt für uns anscheinend heute nicht mehr in Frage. Der Kampf tobt trotzdem – und zwar mit alleiniger Unterstützung der Feldartillerie – den ganzen Tag weiter.

Gegen 5 Uhr erfahren wir, dass die Feinde (jetzt auch die Engländer) aus sämtlichen Stellungen herausgeworfen worden sind. Wir suchen uns daraufhin Quartier etwa 3km rückwärts von St. Aubin.

Unterwegs begegnen wir einem Gefangenentransport von 20 Franzosen. Sie blicken scheu umher, als fürchteten sie immer noch, dass sie von den “Barbaren” mit Haut und Haaren aufgefressen würden.

Und ähnliche Gefühle mögen angesichts der maßlosen feindlichen Hetze wohl die vielen Flüchtlinge beschlichen haben, die heute unseren Weg kreuzten. Sie saßen mit Kind und Kegel auf Fahrzeugen aller Art, auf denen zugleich das Kostbarste ihrer Habe, mitunter auch ganz wertlose Dinge, verpackt waren. Die meisten von ihnen dagegen hatten nur das nackte Leben gerettet.

Und doch war alle Überstürzung zwecklos. Unsere überraschend vorgedrungenen Truppen hatten ihnen den Weg nach dem Inneren Frankreichs längst abgeschnitten. Sie mussten wieder zurück – zurück ins Ungewisse; denn während ihrer Abwesenheit war an ihrem Eigentum vielleicht mehr Schaden angerichtet worden, als wenn sie tapfer ausgehalten hätten.

Freilich mag dieses Aushalten nicht immer so leicht sein. Der Kampf um Sein oder Nichtsein kennt keinerlei Rücksichten auf das zivile Leben. Und heute war es ganz besonders schlimm.

Während wir zur Nachtruhe rüsten, ist der Abendhimmel nach allen Richtungen hin noch blutrot gefärbt von dem Feuerschein der brennenden Gehöfte. Ein schwelender, beißender Qualm zieht über Wiesen und Felder.

Wie viele der Bewohner werden morgen trauernd vor den letzten rauchenden Trümmern ihrer Lebensarbeit stehen? — O glückliche Heimat, dass dir dies erspart bleibt!!!

Halb 10 Uhr Abends. Endlich haben wir (insgesamt zu 5 Wagenbedienungen) Unterkunft in einem Hause gefunden.

Der Tag war für uns doppelt anstrengend. Wir glaubten uns für die leiblichen Entbehrungen und Strapazen der letzten Woche einmal gründlich schadlos halten zu müssen und unterzogen deshalb alles, was uns auf den Streifzügen durch die leeren Gehöfte in die Hände fiel, einer Kostprobe. Wein, Obst und Schokolade, saure Gurken, Butter, Käse und Weißbrot wechselten in bunter Reihenfolge miteinander ab. Die Folgen waren fürchterlich. Der Magen streikte zum Schluss vollkommen.

Wein gibt es hier übrigens in so großen Mengen, dass wir uns wirklich wieder einmal nach einem Schluck gewöhnlichen Wassers sehnen. Doch müssen wir in dieser Hinsicht äußerst vorsichtig sein. Die Brunnen sehen nicht immer vertrauenserweckend aus und in den verlassenen Bauernhöfen weiß man nie, ob man sich nicht mit einem einzigen Schluck den Tod antrinkt.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 27.8.