1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

12.7.1917 Pessimismus in krassester Form

/ / 8.7.-22.7.1917 Zum dritten Mal in Ruhe

 Pessimismus in krassester Form

Der ersten Besichtigung ist schon am nächsten Tage eine zweite durch den General der Artillerie bei der 5. Armee gefolgt.

Weniger leutselig dagegen scheint augenblicklich unser Herr Bataillons-Kommandeur gesonnen zu sein. Als Antwort auf die Vorschläge seiner beiden Batterieführer, den Dienst zunächst hauptsächlich auf Instandsetzungsarbeiten an Kleidung, Fahrzeugen usw. zu beschränken, hat er gleich einen Dienstzettel für 3 Tage ausgebrütet, der mit Exerzieren, Unterricht und sonstigem Unsinn gespickt ist und im übrigen die Tagesstunden voll verteilt, so dass den Leuten –nach seiner Meinung – wenig Freiheit zu persönlichen „Dummheiten“ bleibt.

Natürlich fehlt uns die höhere Einsicht für solche Anordnungen. Andererseits legen wir aber auch gar keinen Wert darauf, in jeder Minute wie kleine Kinder betreut und bevormundet zu werden.

Dazu kommt eine weitere Unannehmlichkeit.

Die Verpflegung ist – wie schon erwähnt – knapper geworden. Da in dieser überwiegend landwirtschaftlichen Gegend noch mancher Garten bestellt und manches Haustier gehalten wird, glaubten wir zunächst, uns bei den Bewohnern für unser eigenes Geld einen kleinen Zuschuss beschaffen zu können. Doch, man schob schnell einen Riegel vor. Die Bevölkerung erhielt strengstes Verbot, uns etwas zu überlassen. Sie muss alles an die Ortskommandantur abliefern – zur Weitergabe an Lazarette und sonstige „Hilfsbedürftige“.

Diese Art der Weitergabe dürfte aber wohl erträglich sein, denn der Ortskommandant und sein Schreiber sehen nach unseren Begriffen ganz gut genährt aus.

Auf den letzteren habe ich nicht nur aus diesem, sondern noch aus einem anderen Grund eine besondere Wut. Hat er mich doch gleich an einem der ersten Tage in einer Soldatenwirtschaft vermöge „meiner“ schlechten Augen und „seines“ hohen Stehkragens „strammstehen“ lassen, worüber dann die ganze anwesende Gesellschaft in ein brüllendes Gelächter ausbrach.

Wozu aber braucht der Kerl als gewöhnlicher Muskote einen hohen Kragen? Er soll es mal damit vorn an der Front versuchen, dann wird im schon die Lust dazu vergehen.

Auch sonst laufen im Ort noch manche Landsleute herum, die der Krieg bisher nur wenig angefasst hat. Man merkt es ihnen förmlich an, mit welchem Talent sie sich an ihren Etappen-Posten festkleben, wobei die Speichelleckerei nach oben für den nötigen Klebstoff sorgt.

Ich würde darüber kein Wort verlieren, denn ich vertrete den Standpunkt: „Leben – und lebenlassen!“ Aber, man sollte auch uns – den Frontkriegern – etwas gönnen, anstatt uns die paar Tage der Ruhe noch durch kleinliche Schikanen zu verleiden. Sie sorgen doppelt und dreifach dafür, dass uns der letzte Rest von Vaterlandsliebe aus dem Leibe getrieben wird.

Sollte nicht der Aufenthalt hinter der Front in erster Linie dazu dienen, auch in uns das Gefühl zu stärken, dass die Daheimgebliebenen unsere „Opfer“ zu würdigen wissen? Sollte nicht jeder, der von den feindlichen Granaten nicht mehr erreicht werden kann, weil „wir“ uns schützend vor ihn stellen, sein Letztes hergeben, um uns seine Dankbarkeit zu beweisen?

Statt dessen: „Schmarotzer und Drückeberger überall!“

Warum muss dies nur sein?

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Warum aber drängen sich mir solche und ähnliche Betrachtungen immer und immer wieder auf? Habe ich wirklich Grund, alles, was mir in die Quere kommt, nur nach der schlechten Seite hin zu zerpflücken? Oder sehe ich nur zu schwarz?

Vielleicht ist es auch bloß der Überdruss, den dieser Krieg  ohne Ende  in mir ablagert.

Erst war er für uns ein Abenteuer, das neben Schatten- auch Lichtseiten hatte, die vieles Unangenehme wieder vergessen ließen. Dann wurde er allmählich zum Beruf, an den man sich gewöhnte. Jetzt aber empfinden wir ihn nur noch als lästigen Zwang, von dem wir je früher, desto besser, wieder loskommen möchten.

Und, da wir es alle von Herzen leid sind, verbergen wir unsere schlechten Tugenden und Eigenschaften immer weniger. Kaum einer nimmt noch Rücksicht auf die Gefühle und Wünsche seiner Mitkameraden.

Früher gab man sich wenigstens Mühe, vor dem Anderen mehr zu „scheinen“, als man war. Das überbrückte und verband. Heute reißt jeder die Maske Stück für Stück herunter und zeigt sein wahres Gesicht.

Die Ideale sind verflogen. Um die gute Meinung des anderen kümmert sich niemand. Man ist eben wie man ist.

Und der Egoismus wuchert wie ein Unkraut, das nach und nach alle guten Eigenschaften erstickt!

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Selbstverständlich muss ich mich mit den Verhältnissen abfinden. Doch ist dies nur äußerlich möglich – im Inneren kann ich sie nicht überwinden. Wo ich hinsehe, ekelt es mich an!

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 16.7.