1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

25.6.1916 Müh und Plag auf der Schreibstube

/ / In Belgisch Flandern 25.4.16-30.6.16

Müh und Plag auf der Schreibstube. Was sind ein Hemd und eine Unterhose wert? Einer wünscht sich ein paar Jahre “Z”.

Sonntag! Im Frieden würde man frohen Herzens sagen: “Wieder eine Woche rum, jetzt wollen wir erstmal pausen!”

Hier aber ist es augenblicklich anders, wenigstens was die Schreibstubentätigkeit anbelangt. Fast möchte ich jeden Sonntag als einen doppelten Arbeitstag in meinem Büchlein verewigen.

Etwa 1 Jahr sitze ich nun schon hinter der Front. Andere werden mich darum beneiden – und doch: “Ein jeder Stand hat seinen Frieden – ein jeder Stand hat seine Last!”

Vom frühen Morgen bis zum späten Abend geht es hier wie in einem Taubenschlag – Tür auf, Tür zu. Der will dies und jener das. Dazwischen steht der Fernsprecher keine Minute still. Von allen Seiten hat man Wünsche, teils aus wirklichem Bedürfnis, teils aus Langeweile.

Feuerstellung, Beobachtung, Offizierswohnung, Bataillonsstab und andere hocken fortgesetzt an der Strippe.

Kein Wunder, dass ich manchmal am liebsten den ganzen Kram an den Nagel hängen und wieder vorn am Geschütz stehen möchte.

Je länger der Krieg dauert, desto mehr merkt man, dass auch im Felde das Leben doch nur aus Kleinlichkeiten, Reibereien und Ungerechtigkeiten zusammengesetzt ist. Nichts aber ist schlimmer als der Bürokratismus, der sich immer mehr auszubreiten versucht.

Heute fällt mir beispielsweise ein Schriftstück in die Hand, bei dem es sich um den Ersatz eines Hemdes und einer Unterhose handelt, die ein Unteroffizier bei seiner ehemaligen Versetzung zum Ersatztruppenteil dort nicht abgeliefert haben soll.

Auf der einen Seite wird die Abgabe behauptet, auf der anderen wird sie bestritten — und um diesen Widerstreit der Gefühle, dessen Wert nach menschlichem Ermessen etwa auf 3 Mark zu beziffern ist, läuft heute sage und schreibe das 18. Schriftstück.

Draußen aber werden täglich tausende in die Luft gepfeffert — und tausende zu Grabe getragen, ohne dass sich auch nur ein Finger darum krümmt. Es ist zum Lachen und Heulen zugleich!

Doch nicht ich allein; auch andere werden des Krieges langsam überdrüssig.

Was sagte doch vor wenigen Tagen ein Berliner, der aus dem Urlaub zurückkam, dort einen der tausend Schieber getroffen hatte, die im Gelde herumwühlen und nur deshalb nicht zur Front brauchen, weil sie ehemals einige Jahre “gesessen” haben:

“Ick wünschte, ick huatt ooch’n paar Jahre “Z” verpasst jekriegt, denn brauchte ick doch wenigstens in diesen Schlamassel nich mehr rin!”

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 30.6.