1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

21.9.1914 Das Nachtlager von Granada

/ / 7.9. - 8.10.1914 Rückzug von der Marne bis zur Aisne

Das Nachtlager von Granada. Wie sieht es im Ruhelager aus? Verpflegung und Feldpost werden regelmäßiger. Erbeutete französische Geschütze. Wieder ein Verwundeter.

Man hat es nun endlich eingesehen, dass ein Wiederbesetzen unserer vorgeschobenen Beobachtung auf Höhe 91 unmöglich ist. Die noch dort liegen gebliebene Fernsprechleitung wurde gestern Abend wieder eingezogen. Es sah mit ihr so aus, wie wir es vorausgeahnt hatten. Mindestens zehnmal verloren wir den Faden und nur mit Mühe fanden wir die Fortsetzung wieder.

Erst mitten in der Nacht langten wir in unserer Feuerstellung an. Inzwischen war die ganze Batteriebedienung damit beschäftigt gewesen, die bereits gestern begonnenen neuen Geschützstände vollständig auszuheben.

Für uns Fernsprecher wurde dabei ein tadelloser Unterstand mit etwa einem dreiviertel Meter Deckung aus Balken, Blech, Stroh und Erde errichtet, in dem wohl nur noch ein Volltreffer Schaden anrichten kann. Auch für die Geschützbedienung ist für den Fall ernster Gefahr ein bombensicherer Unterkunftsraum erbaut worden.

In der Ruhestellung dagegen steht uns z.Zt. Nur eine große, zum teil bis unter das Dach mit Stroh angefüllte Feldscheune als Schutz gegen Wind und Wetter zur Verfügung. Als wir in dieser Nacht gegen 12 Uhr hier ankamen, hatten sich bereits an die 100 Feld- und Fußartilleristen darin verkrochen. Für uns fiel erst nach längerem Suchen und Tasten ein kleines Plätzchen ab. Noch vor dem Einschlafen gab es ein großes Halloh. Es kamen weitere 50-60 Kameraden an, die in der Dunkelheit bei ihrem Bestreben, ebenfalls unterzukriechen, mit den hier und da unsichtbar verstauten Beinen, Bäuchen und Köpfen der bereits Schlafenden unliebsame Bekanntschaft machten. Da hörten wir manches Donnerwetter. Und erst allmählich waren auch die letzten Hitzköpfe ausgekühlt.

Jetzt – gegen halb 11 Uhr vormittags, sind wir aufgestanden.

Der Schlaf hat uns gut getan. Wir wollen den dienstfreien Tag benutzen, uns endlich einmal gründlich aufzufrischen. Reinlichkeit ist zwar das halbe Leben; aber im Kriege merkt man davon verflucht wenig. 8 Tage habe ich keinen Tropfen Wasser ins Gesicht bekommen. Nun muss die Wurzelbürste nachhelfen.

2 Uhr nachmittags: Nicht nur der eigene Körper, auch der Beobachtungswagen hat aus unserer Freizeit Nutzen gezogen. Wir haben ihn gewaschen und geschmiert und außerdem die zerschossenen Kabel geflickt. Die Dinger sind doch jetzt alle Augenblicke kaputt, da unsere Geschütze soweit wie eben möglich nach vorn geschoben worden sind.

Leider ist dort heute morgen ein neuer Unglücksfall zu verzeichnen. Unser etatsmäßiger Feldwebel K., dem sonst während des Vormarsches als Mutter der Batterie vorwiegend die Sorge um unser leibliches Wohl (Unterkunft und Verpflegung) anvertraut war, hatte das erste Mal während des ganzen Feldzugs die Batterie im Feuer geleitet. Und schon erwischte ihn ein Granatsplitter, der beide Füße verletzte, so dass er fortgetragen werden musste.

Die allgemeinen Gefahren sind eben beim Stellungskrieg weit größer als beim Vormarsch, da man zu lange an die gleiche Stelle gebunden ist und vom Feinde fast auf den Meter eingegabelt werden kann.

In anderen Dingen haben wir es dagegen besser: Die Beförderung der Feldpostsachen wird regelmäßiger und zuverlässiger. Eine heute empfangene Karte ist beispielsweise in Witten an der Ruhr am 14.9. abgeschickt worden.

Auch in die Verpflegung kommt nach und nach Ordnung. Erst jetzt kann der “Küchenbulle” so recht seine Kunst in der Feldküche beweisen. Trotzdem möchten wir noch nicht ganz auf das Selbstzubereitete verzichten, zumal dabei die Möglichkeit besteht, schon beim Zurichten einige Koch- und Bratdüfte um die Nase wehen zu lassen, die sich von denen der Feldküche – der ewigen Eintopfgerichte – vorteilhaft unterscheiden.

Wir merken dies ganz besonders bei unserem heutigen Abendgericht: Rindfleischbraten, Kartoffeln und Kapps. Es schmeckt vorzüglich. Ebenso das Dessert: Brot mit Stampfzucker.

Alles, was wir trotz der vielen untergebrachten Truppen noch an Feldfrüchten und Lebensmitteln auffinden, wird verarbeitet. Der Zucker stammt aus einer ganz in der Nähe liegenden Zuckerfabrik, in welcher noch einige Eisenbahnzüge voll dieser süßen Gabe liegen. Genügend Fleisch liefern die zahlreichen und ohne Aufsicht herumlaufenden Hammel (ich meine natürlich die vierbeinigen), von denen wir uns nach Bedarf einen nach dem anderen an den Kanthaken kriegen und in rohem, gebratenem oder gekochtem Zustande verfuttern.

An der Front ist übrigens auf einmal der reinste Friedenszustand eingetreten. Kanonendonner hören wir nur noch selten. Die Infanterie verschanzt sich immer tiefer in die Erde.

Am Abend werden uns aus den vordersten Linien einige erbeutete französische Geschütze geholt, die bei einem kleineren Vorstoß vom Feinde im Stich gelassen werden mussten. Sie tragen das Konstruktionsjahr 1908 und haben ein Rohr etwa in der Länge unserer 10cm-Kanone. Die Schussweite beträgt aber nur die Hälfte, nämlich 5500m. Ebenso ist die Höhen- und Seitenrichtmaschine längst nicht so praktisch wie bei uns. Andererseits sind uns jedoch die Franzosen mit ihren Optischen Instrumenten bestimmt über.

Heute erhielt Seargeant Kr. das Eiserne Kreuz II. Klasse. Der Tag verlief sonst ohne besondere Ereignisse. Halb 7 Uhr abends geht es wieder in die große Feldscheune.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 22.9.