1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

16.9.1914 Eigene Beobachtung in Klumpen geschossen.

/ / 7.9. - 8.10.1914 Rückzug von der Marne bis zur Aisne

Eigene Beobachtung in Klumpen geschossen. Schwere Angriffe der Franzosen zurückgeschlagen. Die versprengten Infanteristen müssen wieder nach vorn. Im nächtlichen Schlachtfeld.

Wir haben einen arbeitsreichen Tag hinter uns

Halb 1 Uhr nachts zogen wir – 15 Mann hoch – unter Führung des Leutnants B. nach vorn. Der größere Teil richtete die vorgeschobene Beobachtung ein. Ich war diesmal für die Feuerstellung bestimmt.

Zunächst verlegte ich ein Stück der Fernsprechleitung zur Höhe 91. Gegen halb 3 Uhr morgens kehrte ich von diesem gefahrvollen Gang in die Finsternis zurück. Dann begann ich mit einem weiteren Kameraden den Fernsprech-Sicherheitsstand in der Batterie auszuwerfen, der erst mit dem Morgengrauen fertig wurde.

Schlaf also “n’a plus!” Auch aus anderen Gründen.

Der Feind durfte nicht ungestört bleiben. Alle Viertelstunden schickten wir ihm eine Granate hinüber. Damit aber unsere Stellung durch den aufblitzenden Feuerschein nicht verraten wurde, griffen wir zu einer ganz seltsamen Kriegslist. Wir steckten das vor der Batterie liegende große Bauengehöft kurzerhand in Brand. Bald schossen die Feuergarben hoch und hinter ihnen konnten wir ungestört unser Handwerk verrichten. Schon auf wenige hundert Meter war von unserem Geschützfeuer nichts mehr zu erkennen.

Unsere Batterie war hier eigentlich eingesetzt, um heute eine bei Cormicy stehende feindliche Batterie auszuräuchern. Um 8 Uhr morgens sollte die Beschießung beginnen.

Die Beobachtung hatte jedoch einen unglücklichen Stand. Sie lag ungeschützt im freien Gelände, nur 300m von den feindlichen Gräben entfernt. In dem etwa 1m tiefen Erdloch, das nur mit dem eisernen Beobachtungsschild bedeckt war, hockten 4 Mann nebeneinander. Niemand aber durfte den Kopf über die Erdwallung hinausheben. Die Rothosen lagen auf der Lauer. Ihre Gewehrkugeln schwirrten unablässig über die Gräben.

Ein Versuch, die lästigen Schützen zu vertreiben, blieb in den ersten Anfängen stecken. Bei einer unvorsichtigen Bewegung mit dem Scherenfernrohr musste man unsere Leute entdeckt haben. Nur wenige Minuten konnten sie noch das Feuer unserer Batterie leiten. Dann ergoss sich ein Hagel von Granaten und Schrapnells auf sie.

Die Fernsprechverbindung zu den Geschützen war futsch, unsere Batterie ihrer Augen beraubt. Es war klar, dass wir nicht tatenlos abwarten konnten, was sich weiter entwickelte. Trotz bester Absichten gelang es aber nicht, die dringend notwendige Verbindung wiederherzustellen. Ich tigerte wohl eine Stunde im Gelände herum, sprang von Trichter zu Trichter, besserte die Stellen aus – doch im Kopfhörer meldete sich weder Batterie noch Beobachtung.

Die Erklärung hierfür ergab sich erst später. Unsere Leute hatten inzwischen- nachdem das Schutzschild durch einen Volltreffer zertrümmert worden war – den Beobachtungsstand verlassen. Gegen 11 Uhr kamen sie in unserer Batteriestellung – trotz des feindlichen Kugelregens wunderbarerweise unverletzt – an. Innerlich hatte sie jedoch dieses Erlebnis so aufgewühlt, dass in der ersten Stunde ein vernünftiges Wort mit ihnen nicht zu sprechen war.

Für die ausgefallene Beobachtung fand sich gar bald Ersatz auf einem Dach unmittelbar vor der Geschützstellung. Von hier aus war es möglich, das Feuer noch zur rechten Zeit wiederaufzunehmen und rund 300 Schuss auf feindliche Infanterie- und Artilleriestellungen zu verknallen. Auch die Feldartillerie hielt nicht eine Minute den Schnabel.

Erst jetzt – gegen 5 Uhr nachmittags – lässt das Feuer auf beiden Seiten nach.

Die Infanterie wird dies besonders begrüßen. Sie hatte einen schweren Tag. Ungezählte Verwundete hinken zur nahen Verbandsstation, die überreich zu tun hat.

7 Uhr abends: Die Nachrichten von der Front lauten inzwischen etwas günstiger. Der Feind soll sich wieder zurückziehen. Er hat erbittert gekämpft und – gleich uns – große Verluste gehabt.

Aus den Schützengräben wird erzählt, dass er auf jeden einzelnen deutschen Soldaten, der sich über die Brüstung wagte, sofort Infanterie-, Maschinengewehr und sogar Artilleriefeuer eröffnete.

Was Wunder, wenn unter solchen Umständen mancher Infanterist – und sei es auch nur für Stunden – dieser Hölle gewaltsam zu entrinnen suchte. Die Gendarmerie stöberte aber die Versprengten aus den Kellern und Heuböden auf und trieb sie unerbittlich wieder nach vorn.

Ein herzzerreißender Anblick! Mancher der vom Tode Gehetzten mag in diesem Augenblick seinem grausamen Schergen ewige Rache geschworen haben – wie ich mich selbst mit in den Taschen geballten Fäusten mehr als einmal überwinden musste, ihnen zuliebe keine Torheit zu begehen.

Der Feind war uns bisher artilleristisch überlegen. Als Gegenstück zu den schweren englischen Kastengeschützen, die mit ihren Geschossen große Verwüstung anrichten und bis weit ins Hintergelände reichen, haben wir jetzt unsere 21cm Mörser aufgefahren. Außerdem soll als Verstärkung das XIII. Armeekorps eingetroffen sein.

Wer wird die Siegespalme davontragen? Eine Frage, die uns nun schon 4 Tage lang bewegt.

Es ist ja selbstverständlich, dass der Feind alles versucht, seinen ins Stocken geratenen Vormarsch wieder in Fluss zu bringen. Wir aber setzen ihm ein entschiedenes “Nein” entgegen — und wenn wir uns verbluten sollten. Denn keiner von uns möchte noch einmal die Schrecken des Rückzuges mitmachen.

Da die Hilfsbeobachtung ganz ohne Gerät ist, begeben wir uns zu 3 Mann zur Protzensammelstelle, um dort unsere einzigen beiden Reservekabel zu flicken und uns von den Strapazen ein wenig zu erholen.

Bei einbrechender Dunkelheit wird die Sammelstelle etwa 2km rückwärts verlegt. Die Geschütze bleiben in ihrer Stellung. Die Bedienungsmannschaften schlagen daneben ihre Zelte auf. Die löbliche Absicht, auch in der Sammelstelle zur Nachtruhe zu rüsten, wird leider im letzten Augenblick zuschanden. Wir erhalten Auftrag, die am Tage auf Höhe 91 im Stich gelassenen Beobachtungsgeräte in dieser Nacht zurückzuholen.

9 Uhr abends ziehen wir zu 25 Mann los – hinein ins stockdunkle Schlachtfeld. Äußerste Vorsicht und Ruhe ist geboten.

Bald sind wir an den eigenen Gräben. Unmittelbar vor uns brennen einige, nach der Feindesseite abgeblendete Lichter, die uns andeuten sollen, wo unsere vordersten Schützenlinien stehen.

Nach mühevollem Suchen erreichen wir glücklich den Platz unserer Beobachtung. In gebückter Haltung und, ohne ein Wort zu verlieren, werden die Gegenstände mit den Händen aus der Erde gewühlt, einzeln angereicht und fortgetragen.

Ebenso wird von mir das mehrfach zerschossene Fernsprechkabel aufgerollt. Ein Kunststück in dieser Dunkelheit, in der man sich lediglich auf das Tastgefühl seiner Schuhspitzen verlassen kann. Es geht aber alles gut.

Und dann kommt der Rückweg, den ich so leicht nicht vergessen werde. Wir sehen so gut wie nichts, stolpern von Graben zu Graben — und treten plötzlich auf Menschen. Überall liegen noch Verwundete und stöhnen, jammern oder schreien wie Tiere auf. Sie winden sich in ihren Schmerzen und sind dem Verdursten nahe. Wir opfern ihnen gern den Rest aus unserer Feldflasche. Mehr aber können wir nicht für sie tun. Sie müssen warten, bis sich der Sanitätertrupp ihrer erbarmt.

Viertel vor 1 Uhr nachts erreichen wir glücklich und wohlbehalten unseren Lagerplatz. Nun ist es möglich, an Schlaf zu denken.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 17.9.