1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

9.10.1916 Ein schwarzer Tag für unsere Batterie

/ / An der Somme 30.6.16-3.3.17

Ein schwarzer Tag für unsere Batterie: Volltreffer im Geschützstand, 2 Tote, 9 Verwundete. Lieber Infanterist, möchtest Du an solchen Tagen mit uns tauschen?

Die Franzosen bearbeiten schon seit dem frühen Morgen unsere Beobachtungsstände und Batteriestellungen. Wir bekommen dabei, wie immer, unser Teil ab, ohne dass aber glücklicherweise besonderer Schaden entsteht.

In unserer Feuerstellung dagegen verrichtet ein feindlicher Volltreffer ganze Arbeit. Von den beim 1. Geschütz mit Deckungsbauarbeiten beschäftigten 11 Mann bleibt nicht ein einziger verschont. 2 Mann sind sofort tot. Die übrigen 9 werden schwer verwundet; unter ihnen auch unser langjähriger Batterieoffizier, Vizefeldwebel Kr., der einzige Inhaber des Eisernen Kreuzes I. Klasse bei der Batterie.

Ein schwerer Schlag für uns, der jedoch nicht ungerächt bleiben soll!

Kurz nach dem Unglück und den ganzen Vormittag erhalten die französischen Batterien bei Flaucourt und Herbécourt von unseren Mörser- und Haubitzbataillonen “Zunder”. Das Schießen bringt reichlichen Gewinn. Ich stelle nicht weniger als 10 Explosionen von Kartuschlägern beim Feinde fest. Auch am Nachmittag kann ich noch verschiedene größere und kleinere Brände wahrnehmen.

Als Wiedervergeltung bedenken die Franzosen eine unserer Feldartilleriestellungen mit einem Feuerüberfall von etwa 300 schweren Granaten, diesmal allerdings nur mit dem Erfolg, dass die Feldartilleristen – nachdem sich der Rauch eben verzogen hat – wieder feste drauf los knallen. Selbst zwei weitere Feuerüberfälle des Feindes kriegen diese Batterie nicht klein.

Wir sind die letzten, die die Infanteristen um ihr schweres Los beneiden. Ihnen gebührt unumstritten die Krone in diesem Kampf. An Tagen, wie dem heutigen, aber wissen wir bestimmt, dass auch sie keine Sehnsucht haben, mit uns zu tauschen.

Es ist ein schauderhaftes Gefühl, wenn man nach den ersten Schüssen plötzlich merkt: “So, diesmal gilt es Dir ganz allein auf weiter Flur! Wird alles gut abgehen?” Man zählt in seinem Unterstand in stiller Ergebenheit die dumpfen Erschütterungen des Erdreichs über sich. Einhundert – zweihundert – dreihundert. Ist das immer noch nicht genug?

Doch unaufhörlich geht es weiter – oft einzeln, dann wieder in Gruppen zu vier, acht und mehr Schüssen. Erst ist noch alles guten Muts. Der rettende Unterstand wurde im letzten Augenblick erreicht. Auch können wir zunächst beim Schein des spärlichen Kerzenlichtes näher zusammenrücken und uns mit Witzen und Scherzen über den Ernst der Situation hinweghelfen. Allmählich aber dauert der “Zauber” doch zu lange. Das Licht ist erloschen, es hat keinen Zweck mehr, nach jedem feindlichen Einschlag immer wieder nach dem Streichholz zu greifen. Der Luftdruck der berstenden Granaten bearbeitet nicht nur unser Trommelfell in unangenehmer Weise, sondern bläst mit beharrlicher Boshaftigkeit jedesmal auch das kleine Flämmchen aus.

Wir tasten uns in der Dunkelheit an den Wänden entlang und kriechen einer nach dem anderen in unsere Kojen. Einen halben Meter über uns liegen Schicksalsgenossen gleich uns – oder können wir die Stollenhölzer mit den Händen greifen. Mehr Raum steht uns hier draußen in Feindeserde nicht zu.

Der feine Sand rinnt durch die Fugen – uns in die Augen oder in den Mund. Wir stülpen den Stahlhelm übers Gesicht – und hängen unseren Gedanken nach.

Ruck um Ruck gehts durch den Bau, bald schwächer bald stärker, bald dumpfer bald heller. Unwillkürlich zucken wir zusammen, ziehen den Kopf ein und machen uns auf das Schlimmste gefasst – Was sollen wir anders denken? Die Wände unseres Bunkers schließen uns ein wie ein Sarg. Fehlt nur noch, dass eins von den Biestern mit Verzögerungszündung kommt und uns den Deckel auf die Nase drückt.

Erbarmungslos sind wir dem Feinde ausgeliefert. Erbarmungslos hämmert er weiter.

Hunderte und tausende Kameraden blicken nach unserer Stellung, in der die Funken stieben. Aber keiner kann uns helfen.

Wir müssen aushalten bis zum guten – oder schlechten Ende.

Und wenn es ganz unerträglich wird, dann beten wir nicht, sondern krampfen die Hände ineinander und fluchen und schimpfen über die verdammten Franzosen, die noch immer keine Ruhe geben wollen. Wenn wir doch wenigstens Gleiches mit Gleichem vergelten könnten!

Es ist eine ohnmächtige Wut, die sich in uns aufspeichert und uns Stück für Stück der Verzweiflung näher bringt.

Aber eigenartig, während wir noch unser Hirn mit den blödsinnigsten Dingen zerquälen, ist es oben auf einmal ruhig geworden. Irgendeiner hat es plötzlich festgestellt und uns von dem Bann, der uns gefangen hielt, erlöst.

Wir springen vom Lager auf und eilen über Dreck und Steine nach dem Sonnenlicht.

Vorsichtig lugen wir aus dem Treppeneingang in die Gegend – mit einem Bein im Stollen und immer noch auf dem Sprung, wieder zu verschwinden, sobald eine neue Ladung kommt.

Aber es kommt keine mehr, der Feind ist zufrieden und kann es sein. Er hat gehaust wie ein Wilder.

Die Verbindungsgräben und Brustwehren sind eingeworfen. Sandsäcke und Bohlenhölzer liegen umher. Geschosse sind durcheinander gekegelt. Räder und Lafette werden von großen und kleinen Granatsplittern wie ein Sieb zerlöchert. Die Fernsprechleitung ist in tausend Fetzen gerissen.

Hätten wir unsere Unterstände nicht gehabt – was wäre aus uns geworden? Nun, da es ruhig bleibt, kommt langsam Leben in die ganze Bande. Das Notdürftigste muss sofort hergerichtet werden; das andere bleibt für den nächsten Tag. Alle Hände regen sich – und bald kehrt auch der alte Frohsinn wieder ein.

Der heutige Tag freilich, an dem so viele unserer alten treuen Kämpen dran glauben mussten, legt sich wie ein Alp auf unsere Brust und lässt selbst die Lautesten für längere Zeit stumm werden.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 10.10.

  1. Zur Frage „Wie gefährlich war das Leben bei der Artillerie im ersten Weltkrieg“ fand ich diesen Artikel https://www.reddit.com/r/AskHistorians/comments/2cek5d/how_dangerous_was_life_as_a_wwi_artilleryman/ ganz erhellend (auch wenn es um die britische Artillerie geht).

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  2. Bedrückende Beschreibung, auch heute noch nachfühlbar!

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  3. Seit wann trägt er denn einen Stahlhelm? Die wurden ja 1916 eingeführt. Wundert mich, dass er deren Austeilung nicht erwähnt hat.

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