1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

1.3.1918 Mein guter alter Klepper!

/ / Nochmals nach dem Norden (Cambrai) 20.1.18-26.3.18

Curgies. Mein guter, alter Klepper!

Das Wetter für den vergangenen Nachtmarsch war etwas günstiger. Bei hellem Mondenschein verliessen wir – nachdem  man uns zunächst 3 Stunden auf dem Biwakplatz hatte stehen lassen – um Mitternacht Bavay.

Ich hoffte, auf dem Rücken meiner “Rosinante”, die man mir in meiner Eigenschaft als Richtunteroffizier für die kommende Offensive gnädigst bewilligt hat, noch ein kleines Nickerchen zu halten. Doch meine löbliche Absicht ging gar bald in die Brüche.

Gegen Morgen wurde es empfindlich kühl. Steif wie ein Besenstiel rutschte ich von einem Bollen auf den andern. Kam noch hinzu, dass der Gaul – ein jüngeres Fräulein älteren Jahrganges – fortgesetzt der Aufmunterung bedurfte. Über jeden kleinen Stein des Anstosses stolperte er, und immer wieder wurde ich aus meiner Dusselei emporgerissen – gerade zur rechten Zeit, uns beide vor einem unsanften Fall zu bewahren.

Kurz und gut – nach kaum einer Stunde war ich diese Schaukelei leid. Ich vertauschte den Sattel mit den Schuhsohlen und nahm die Zügel in die Hand.

Der Gaul aber sagte nicht nein. Er schob selbstzufrieden seine Nasenlöcher an meinen Kopf heran — und als wir nun einträchtig nebeneinander hertrotteten, wurde es mir ganz wunderlich zu Mute. Meine Gedanken wanderten weit ab – zurück zu den Zeiten der Kreuzzüge. Ich kam mir vor, wie der Ritter in der Wüste:

“Fast musste der Reiter die Mähre tragen —!”

Die Schicksalsgemeinschaft des Krieges hatte uns beide innerhalb weniger Tage eng aneinander gekettet. Wandte ich mich um, dann schaute mir der alte Globetrotter treuherzig und hilfslos mit seinen großen Augen ins Gesicht, als wolle er die stumme Frage an mich richten: “Kamerad, wohin führt unser Weg; ist er nicht ebenso endlos wie dieser ganze Krieg?

Wann werde ich wieder Pflug und Egge durch die heimatliche Scholle ziehen? Wann wirst du wieder mit “Feder und mit Hirn” um dein tägliches Brot ringen?” —

Ich konnte ihm nur wehmütig zunicken: “Mein lieber, guter Freund – frage den Mond und frage die Sterne, vielleicht steht in ihnen unser Schicksal geschrieben. Ich weiß es nicht – und werde es nie ergründen. Doch, so lange uns noch die eiserne Pflicht hier im Feindesland festhält, trage Du den Kopf oben, so wie ich es _muss_!”

Keine Zweifel, er hatte mich verstanden.

Und müde – still und ergeben zogen wir unsere Straße weiter.

Noch manche andere Frage wurde in dieser geheimnisvollen Mondesnacht wach:

“Werde ich, wirst du den Weg zur Heimat zurückfinden? Wann aber doch – werden wir beide uns je wieder einwurzeln? Sind wir nicht in diesen 4 langen Jahren allem Heimatlichen längst entfremdet? Werden wir überhaupt noch jemanden finden, der unsere Kriegsgebräuche und Unsitten, unsere auf Mord und Zerstörung eingestellten Gedanken und Anschauungen verstehen – billigen – und uns verzeihen wird?”

Um 5 Uhr morgens endlich standen unsere Gedanken – und Beine still. Wir hatten mittlerweile unser Tagesziel erreicht und bezogen nun Quartier in Curgies – unweit Valenciennes.

Jetzt sitze ich bei meinen Wirtsleuten, um für die kommende Nacht, die uns in die Nähe von Cambrai bringen soll, einzuheizen.

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 3.3.

  1. Von Bavay nach Curgies sind es circa 17km (die Routenführung von Openstreetmaps ist auf Autos optimiert und nimmt daher einen circa 2km langen Umweg in Kauf).

    Je nachdem, wie nahe es dann an Cambrai herangeht, sind von Curgies aus noch über 30km zurückzulegen.

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  2. Einer der lyrischsten Beiträge der vergangenen Jahre. Wunderbar!

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    • Sein Tagebuch muss ihm sehr am Herzen gelegen haben. Nach dem Motto: An Ausdauer und Kraft braucht es, um weiter zu machen.

      Gruß von Veith Z.

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  3. Danke auch an Alle die die Karten einfügen…

    Thomas

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  4. Das bedeutet doch, dass er sich so nah an der Front bewegt, dass Truppenbewegungen nur noch nachts möglich sind.

    Und diese Stelle verdeutlicht auch eins: der Gaul ist sein erster Freund in all den Jahren.

    Er scheint an der Front keinen Freund gefunden oder gehabt zu haben bzw. zumindest schreibt er da nicht drüber, ebensowenig über Freunde aus der Vorkriegszeit, Post von denen oder über deren Schicksal.

    Er schien mächtig einsam/verlassen im Krieg von den Freunden – oder es war eine Art Verdrängung, zumal er auch zunehmend weniger über Familie / Heimat schrieb.

    Aber eine schöne, neue Facette und Bild, dieser Gaul, der eine jüngere Dame, die mit ihrem Kopf an seinem hinter ihm her trottet.

    Ich bin gestern um 23 Uhr noch 10km mit dem Rad gefahren, also ein jüngerer Gaul, auch Dame … und kann sagen, dass es trotz bergauf und -ab kalt war und ich keine Lust gehabt hätte, danach 3 Stunden auf dem Biwakplatz zu stehen. Mondschein war gestern auch da, klare, kalte Nacht.

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    • Ein guter Reiter war Ernst nicht und es hatte es nicht so mit Pferden. Ich glaube er ist schon mal vom Pferd gefallen und er hatte sehr darüber geflucht. Doch wo?

      Gruß von Veith Z.

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  5. Als Reiter, Pferdebesitze und -liebhaber hat mich dieser Eintrag mehr bewegt als manch andere.

    In einer Dokumentation von rbb wurde bemerkt, dass allein auf deutscher Seite, 1.5 Millionen Pferde im Einsatz waren.

    1 Million starben.

    PS: Im 2.WK waren es auf deutscher Seite 3 Millionen, von denen 2 Millionen umkamen.

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    • Als Arbeitstiere schätze und nutze man sie sehr, auch im normalen leben. Das leben dieser Pferde jedoch nicht. Es musste ja auch gepflegt und unterhalten werden. Zum Glück ist das heute anders.

      Das Ernst sich im weiteren Sinne mit einem Gaul vergleicht – Zitat: “Feder und mit Hirn” um dein tägliches Brot ringen?”, finde ich zum lachen.

      Ich selbst bin kein Pferdeliebhaber, aber ich dulde sie gerne. Es sind liebenswerte Wesen.

      Gruß Veith Z.

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  6. mein großvater hat gemeint das man im krieg keine freunde haben sollte, weil sie vllt sterben.

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  7. Interessant, dass schon damals der englische Begriff „Globetrotter“ geläufig und in Anwendung war.

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