1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

18.7.1915 Kapelle San Grado di Merna.

/ / Am Isonzo 1.7.1915-31.3.1916

Kapelle San Grado di Merna. Durchbruchsgefahr. Noch immer schlechte Verpflegung. Die österreichische Schlamperei.

Sonntag. In der Nacht hat es geregnet. Berge und Landschaft treten in kristallener Klarheit vor unser Auge.

Ich besteige am Vormittag die auf einer steilen Anhöhe liegende Kapelle S. Grado di Merna. Von hier kann ich die ganze Gegend überschauen.

Worte sind zu arm, die Pracht zu schildern, die sich zu meinen Füßen ausbreitet. Grünende Wiesen und Felder, dazwischen weiss leuchtende Häuser und im Hintergrunde die schnee- und eisbedeckten Berge.

Ist es nicht ein Wahnsinn, dass in diesem Paradiese das Blut Tausender fließen muss?

Schon seit dem frühen Morgen erhebt sich die italienische Artillerie zu gewaltigem Kriegsspektakel. Überall kracht und schallt es in den Bergen und Tälern. Ein neues heißes Ringen steht uns bevor; aber niemand weiß zurzeit, wann und wo es losbrechen wird.

Gegen 2 Uhr nachmittags wird die Sache immer brenzlicher. Es kommt Befehl zu äußerster Bereitschaft, damit die Sammelstelle rechtzeitig weiter rückwärts verlegt werden kann. Die feindlichen Schrapnelle fliegen schon ganz bis in unsere Nähe.

Eine halbe Stunde später dringender Befehl von vorn, sofort die Gespanne für die Geschütze in die Feuerstellung zu schicken, da Durchbruchsgefahr besteht. Von dem Ernst der Situation sind nur wenige unterrichtet; die unsichere Lage aber wird wohl von jedem unter uns gefühlt.

Das heftige, ununterbrochene Artilleriefeuer lässt erst gegen 5 Uhr nachmittags nach. Um diese Zeit setzt ein starker, anhaltender Regen ein. Welche Kämpfe sich zurzeit an der Front abspielen, lässt sich hier hinten nicht feststellen.

Unsere Geschütze sind noch nicht zurück. Sollte der Feind bereits durchgebrochen sein, so dass ihr Rückholen nicht mehr möglich war? Die Fahrzeuge der Sammelstelle stehen jedenfalls vollständig marschbereit verpackt und angeschirrt.

Abends 8 Uhr kommen sämtliche Pferde ohne Geschütze zurück. Die Lage hat sich für uns im letzten Augenblick gebessert. Während es den Italienern am Vormittag gelang, in verschiedene Teile der Front einzudringen, war es uns möglich, sie am Nachmittag wieder in ihre alten Stellungen zurückzuwerfen. Die Verluste sind beiderseits groß. Unsere Batterie kann vorläufig in ihrer alten Stellung bleiben.

Kurz vor Eintritt der Dunkelheit verirren sich noch einige feindliche Granaten bis ganz in die Nähe unseres Lagers. Wir lassen uns dadurch nicht stören und bleiben am alten Fleck; die Alarmbereitschaft wird jedoch aufrechterhalten.

10 Uhr abends Schlafen — nach einem pompösen Abendessen: Leber mit Bratkartoffeln. Ich erwähne dies als etwas ganz besonderes; denn unsere allgemeine Verpflegung ist unter allem Hund.

Irgendeine Beilage zum Brot – und sei es nur Marmelade, Fett oder Käse – gibt es seit dem ersten Male überhaupt nicht mehr. Das Kuckurutz-Brot ist zudem meist nicht durchgebacken und ungenießbar. Es schmeckt bitter, zerbröckelt in der Hand in tausend Stücke und fängt bereits einen Tag nach dem Empfang an zu schimmeln.

Wir würden uns mit der Kohldampfschieberei noch einigermaßen abfinden, wenn wir die Überzeugung hätten, dass die allgemeinen Verhältnisse dazu zwängen. Leider aber werden wir bei allem, was wir sehen, das Gefühl nicht los, dass nicht die allgemeinen Verhältnisse, sondern die schlechte Organisation des gesamten österreichischen Heerwesens daran schuld sein muss.

Schlamperei – nichts Halbes und nichts Ganzes, das ist das Motto.

Die Tapferkeit der Truppen ist aber über Lob erhaben.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 19.7.

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