1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

20.3.1918 „Eine jede Kugel trifft ja nicht“

/ / Nochmals nach dem Norden (Cambrai) 20.1.18-26.3.18

Nochmals in der Feuerstellung. Die letzten Vorbereitungen. Morgen soll’s losgehen. “Eine jede Kugel trifft ja nicht!”

Wir haben unsere Geschütze diese Nacht mit 30 Mann endgültig eingefahren – ein Stück Arbeit, wie es von Menschen nur im Kriege geleistet werden kann.

Gestern abend halb 8 Uhr begannen wir damit.

Das 1. Geschütz konnte glatt auf die Bettung geschafft werden.

Das 2. Geschütz stak jedoch in einem Granatloch und musste erst in einstündiger Arbeit herausgewunden werden. Auf dem Weg zum Geschützstand rutschte es in ein zweites Granatloch des in den Novemberstürmen des Vorjahres vollkommen zerwühlten Geländes. Auch dieses Hindernis wurde mit vieler Mühe glücklich überwunden.

Nun aber kam das 3. Geschütz. Es bot besondere Schwierigkeiten beim Umlegen der Gürtel, da es mit beiden Rädern in den weichen Boden 20 bis 30cm eingesunken war. Jedes Rad musste erst einzeln hochgewunden werden, ehe es möglich war, die Gürtel darunter herzuziehen.

Wir hätten uns diese Arbeit sparen können, wenn der über 100 Zentner schwere Koloss nicht vorher auf dem Fußweg gefahren worden wäre.

Dieser Lapsus war bereits vor drei Tagen begangen worden, als ich noch mit dem Herauswürgen des letzten Geschützes aus dem Granatloch an der Kanalbrücke beschäftigt war.

Bei meiner Ankunft am Schloss von Inchy übersah ich den Schaden sofort. Ich machte meinem Herzen Luft und fluchte: “Verdammt nochmal, welcher Hornochse ist denn an dieser Schweinerei wieder schuld?”

Die Antwort folgte der Frage auf dem Fuße. Hinter dem Geschütz trat der Bataillons-Kommandeur in eigener Person hervor und bekannte sich offen zu dieser Missetät.

Es war das “xte” Mal – jetzt allerdings ungewollt – dass ich mir eine Kritik seiner Handlungen erlaubte. Aber merkwürdigerweise gab es kein Donnerwetter und auch nicht den Nachsatz wie damals an der Aisne, dass er doch länger als ich Artillerist sei und deshalb wissen müsse, was richtig sei.

Ich dachte noch lange über dieses Intermezzo nach. Ob es wohl überhaupt in diesen langen 4 Kriegsjahren manchmal nicht besser gewesen wäre, wenn der Untergebene nicht immer nur mit zusammengerissenen Knochen das für bare Münze hätte hinzunehmen brauchen, was höheren Orts an Unsinn verzapft wurde?

Das Einfahren des 3. Geschützes mit geschlungenem Taukreuz und vorgelegten Bohlen über den weichen Acker nahm jedenfalls lange Zeit in Anspruch. Zentimeter um Zentimeter musste dem Boden abgerungen werden. Endlich stand aber auch dieses letzte in der Stellung.

Dann kam für mich noch die Sonderaufgabe, die Batterie einzurichten – in dem eisengespickten Gelände, in völliger Dunkelheit und nur mit der Bussole eine schwere und verantwortungsvolle Arbeit.

Als wir abrückten, schlug die Uhr 3 Uhr morgens. Ein während der ganzen Nacht anhaltender Sprühregen hatte uns bis auf die Haut durchnässt. Wären wir infolge der mangelhaften Unterkunft in Cambrai nicht bereits alle verschnupft, so hätten wir uns in dieser Nacht sicher einen Knacks weggeholt.

Die Engländer scheinen übrigens allmählich etwas gerochen zu haben. Bis 10 Uhr abends legten sie ein lebhaftes Störungsfeuer auf das gesamte Hintergelände, wobei mancher Munitionsstapel in die Luft flog. Dann erst wurde das Streufeuer erträglich.

Man hält es fast für selbstverständlich und achtet kaum noch darauf – heisst es doch bereits im Soldatenlied: “Jede Kugel trifft ja nicht”

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 21.3.

  1. Das Wort „Bussole“ kannte ich nicht. Anscheinend bezeichnet es einen Kompass mit Magnetnadel. Der wird dann vermutlich entsprechend empfindlich auf das „eisengespickte Gelände“ reagiert haben.

    Aber die Geschichte mit den Gürteln am Geschütz und dass man es nicht auf dem Fußweg fahren sollte, habe ich nach wie vor nicht ganz verstanden.

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