1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

26.5.1915 Flugblätter der Franzosen

/ / In der Champagne 27.3.15 – 30.6.15

Fast an jedem der letzten Tage, die uns sonnenklares Wetter brachten, herrscht morgens, abends und selbst in der Nacht rege Fliegertätigkeit auf beiden Seiten.

Heute warfen feindliche Flieger über Manre Flugblätter ab, die folgenden Inhalt hatten:

An die deutschen Soldaten!

Der König von Italien hat der französischen Regierung amtlich mitgeteilt, dass er sich vom heutigen Tage ab als im Kriegszustand mit Österreich-Ungarn befindlich betrachtet.

Durch Italiens Eingreifen wird Frankreich und seinen Verbündeten der Sieg binnen kurzem unvermeidlich gesichert.

Deutsche Soldaten! Zwecklos wird deshalb von nun an Ihre Aufopferung.

Ein weiterer Widerstand kann nur Ihre heissgewünschte Rückkehr in die Heimat verzögern und Eueren dort mit Sehnsucht harrenden Eltern, Frauen und Kindern die harte Notzeit immer schwerer aufbürden.

24. Mai 1915

Mögen die Franzosen auch sonst gute Rechenkünstler und Advokaten sein; diesmal haben sie bestimmt die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Genau wie in unserer heimischen Presse geschrieben wird, so ist die Stimmung überall: “Zuversichtlich und unverzagt!”

Und, wenn je einer unsere Rückkehr in die Heimat wünschen sollte, so werden es in erster Linie wohl die Franzosen selbst sein.

An der Front deutete jedenfalls heute nichts darauf hin, dass “sie” ihrem Siege näher seien, wenn sie auch am Morgen den üblichen Segen zu unserem Lagerplatz sandten.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 30.5.

  1. Interessant, so ein Flugblatt mal mit Kontext zu lesen – und wer weiß, ob er sich da nicht selbst seiner unverzagten Stimmung versichern musste.

    Mir hätte es tüchtig den Hals zugeschnürt beim lesen …

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  2. Wenn man hier seinen Tagebucheintrag liest, könnte man glauben ein Offizier schaut ihm über die Schulter. Keinen Zweifel, nur Zuversicht und Siegeswille. Der Propaganda der heimischen Presse glaubt er, wo er doch vorher noch seine Zweifel hatte. Ist das Trotz? Oder versucht er gegen die Propanda des Feindes anzukämpfen? Ich bin gespannt und kann es kaum bis zum 30.5. erwarten!

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    • Ja, das könnte man glauben. Aber: Die Informationsmöglichkeiten und -wege waren zu der Zeit ja noch sehr eingeschränkt und einseitig, nicht vergleichbar mit der heutigen Zeit, wo sich jeder übers wwww oder über kritische Medien alle Sichtweisen zu einem bestimmten Thema holen und sich eine eigene Meinung bilden kann. Natürlich glaubten daher die Soldaten wie auch die Bevölkerung den offiziellen Informationen der eigenen Regierung. Ich denke, dass solche Flugblätter Reaktionen wie „bangemachen gilt nicht“ auslösten. Leider…

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      • Ja da hast du recht. Die Informationen trafen erst Tage ein und nicht wie heute zwei Sekunden später über das soziale Netzwerk. Und dem Feind glauben bedeutet sicher auch Hochverrat oder Feigheit vor dem Feind. Die Blöße will sich äh ich meine wollte sich Ernst Pauleit sicher nicht geben. Er selbst konnte auch nichts daran ändern und den eigenen Landsleuten misstrauen hätte sein eigenes Dasein zur Hölle gemacht.

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        • Außerdem denke ich, dass es eine Verbindung zwischen den Wörtern ‚Zweifel‘ und ‚Verzweiflung‘ gibt – nicht notgedrungen, aber doch oft konsequent.

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    • Ernst war halt ein Kind seiner Zeit. Er ist in der Kaiserzeit aufgewachsen und erzogen worden. Die Medien waren, wie schon beschrieben, andere als heute. Ausserdem ist der Erkenntnis, dass alles bisher erlebte und durchgemachte vergebens war, sehr bitter und wird gerne verdrängt.

      Mich würde interessieren, ob auch die deutsche Seite solche Flugblätter einsetzte um die Soldaten der Gegenseite zu beeinflussen.

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