1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

25.8.1914 Übergang über die belgisch-französische Grenze.

/ / 1. Vormarsch im Westen. 9.8.14 - 6.9.14

Marsch über Strée und Beaumont bis Hestrud. Übergang über die belgisch-französische Grenze. Wein in Massen. Quartier in Equi vive. 

Die Ausspannung am gestrigen Abend nahm ein schnelles Ende. Gegen 10 Uhr – gerade, als wir uns der wohlverdienten Ruhe hingeben wollten – kam der Befehl zum Stellungswechsel. Wir marschierten sofort ab und machten erst heute Morgen um viertel vor 5 Uhr in Ragnies de Thuin – noch auf belgischem Boden – Halt. Dann legten wir uns bis 7 Uhr vormittags nieder.

Nach dem Aufstehen streiften wir durch die Gemeinde. Der Ort war schrecklich verwüstet. Viele Gebäude standen noch in hellen Flammen. In der Kirche befanden sich etwa 20 verwundete Franzosen. Ein Bild des Jammers!

Doch Leid und Freud wohnen meist dicht beieinander. In einem größeren Gehöft hatte man Wein entdeckt – etwa 5000 Flaschen. Binnen kurzem waren sie von den einquartierten Truppen (einschließlich uns) geköpft.

So gestärkt verließen wir Ragnies gegen 9 Uhr vormittags. Im Marsch kamen wir durch Strée und Beaumont.

Unterwegs konnten wir uns nochmals – diesmal aus einer Apotheke – Rotwein besorgen. Ein vorzüglicher Tropfen – schwer angestaubt – aus der hintersten Kellerecke.

Des Weiteren holten wir uns aus einem Konfektionsgeschäft (der Geschäftsherr musste wohl gerade verreist sein, denn es ließ sich niemand blicken) ein Dutzend Hemden. Die ganze Wagenbedienung konnte damit versorgt werden. Es wurde auch die höchste Zeit, dass wir die unseren, die wir seit dem Weggange von Köln noch ungewaschen am Leibe trugen, endlich einmal durch frische ersetzten.

Punkt 4 Uhr nachmittags überschritten wir mit einem dreifachen Hurra bei Hestrud die belgisch-französische Grenze. Der Willkommensgruß, den uns die französische Armee im eigenen Lande entbot, war seltsam genug.

Dicht am Grenzpfahl lag lang ausgestreckt ein Rothose – tot und mit verzerrtem Gesicht. Noch vor wenigen Stunden musste er seinen Kameraden zum Sturm aufgeblasen haben; denn krampfhaft presste er das Mundstück seines Hornes an die Lippen, aus denen der Todesschaum quoll.

Erst wollten wir hier biwakieren. Eine inzwischen gemeldete feindliche Armee zwang uns jedoch, südlich des Ortes in Stellung zu gehen. Und erst nach 10 Schuss ging es weiter.

Jetzt ist es 6 Uhr nachmittags. Die Lage ist ungeklärt. Ob wir heute noch einmal zum Schuss kommen, ist zweifelhaft.

Halb 8 Uhr abends. Wir haben, 2km vorwärts unserer letzten Stellung, in Equi vivre unser Nachtlager aufgeschlagen.

Unsere Wagenbedienung findet Unterkommen in einem verlassenen Bauernhause. Nachdem wir einigermaßen Ordnung geschafft und die “Betten” zurechtgelegt haben, lassen wir uns nieder, um eine Pulle Rotwein nach der anderen auf das Wohl unserer lieben Heimat und auf einen glücklichen Fortgang des Feldzuges zu leeren.

Ein Leben, wie Gott in Frankreich! — Ach, wenn das der Apotheker wüsste, wie er sich da ärgern müsste!

Zum Schluss gab es noch eine besondere Einlage. Nachdem wir bereits im Bett liegen, kommt Befehl zum Kartoffelschälen für die Feldküche – ein Geschäft, das während des Vormarsches so zwischendurch und reihum von den einzelnen Wagenbedienungen miterledigt werden muss. Bald hocken wir alle im Hemd um den Kartoffeleimer und machen unsere lustigen, oft auch weniger zarten Späße.

Den Krieg aber haben wir für Augenblicke ganz vergessen.

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 26.8.