1914-1918 – Die Entwicklung der Dinge

Verletzung – Teil 2

/ / Nochmals nach dem Norden (Cambrai) 20.1.18-26.3.18

Erst gegen 8 Uhr morgens ließ der Kampflärm nach. Der Tag war inzwischen angebrochen. Kurz darauf wurde ich zum nächsten Verbandsplatz getragen.

Der Krieg war für mich aus. Dieser Gedanke tötete für Augenblicke die Schmerzen ab. Doch bald waren sie wieder da, heftiger und unerträglicher als zuvor.

Die Hand machte mir keine besonderen Sorgen. Anders sah es mit dem Bein aus. Bei jeder kleinen Bewegung stach es von oben bis unten. Die Leistendrüsen waren geschwollen. Ich krampfte mich an der Bahre fest und biss die Zähne zusammen.

Einer meiner Batterie-Kameraden war noch bei mir. Er versuchte, mich zu trösten – aber helfen konnte er nicht. Helfen konnte nur ein möglichst baldiger Abtransport ins Lazarett.

Der Verbandsplatz befand sich auf einem Bauernhofe des Ortes. Als ich ankam, waren nur verhältnismäßig wenige Verwundete da. Bald füllte sich der Raum immer mehr. Von allen Seiten schleppte man Kameraden aller Waffengattungen herbei. In einer Stunde war der Platz schon zu klein.

Die nächsten mussten bereits in die Häuser und Keller getragen werden. Auch ich sollte mit hinunter. Mich überkam ein unheimliches Gefühl. Hinunter — und vielleicht nie wieder an das Sonnenlicht — bei lebendigem Leibe begraben werden und langsam zu Grunde gehen?

Ich wehrte mich mit dem letzten Rest der Verzweiflung. Lieber oben unter freiem Himmel ein kurzes schmerzloses Ende durch eine weitere feindliche Granate.

Die Engländer hämmerten noch immer in der Gegend herum. Bald krachte es dicht bei uns, bald wieder ferner, bald prasselten die Dachziegel und Mauersteine über unsere Köpfe hinweg. Die Gefahr in den Häusern und Kellern war dennoch größer als im Freien.

Und wie sehr ich damals mit meinen Befürchtungen Recht hatte, habe ich erst viel später erfahren, als ich hörte, dass ein nach mir in unserer Batterie verwundeter Kamerad – mit vielen anderen – tatsächlich in einem der Keller elendiglich umgekommen war, da man sein Fortschaffen erst nach Tagen(!) ermöglichen konnte — oder vielleicht auch vergessen hatte.

Das letztere halte ich durchaus für möglich – denn die sanitären Vorbereitungen für die Offensive waren miserabel. Ich habe das noch genug zu spüren bekommen.

Wie gern hätte ich dem Verbandsplatz den Rücken gekehrt. Doch ich lag zur Ohnmacht verurteilt und gefesselt am Boden. Kam denn immer noch kein Krankenwagen, der die Verwundeten wegschaffen konnte? Hatte man wirklich geglaubt, die Engländer würden in der ersten Aufregung davongelaufen sein, ohne sich zu wehren, so dass der Vormarsch für uns ein Spaziergang geworden wäre?

Rings um mich jammerten und stöhnten die Kameraden. Sie waren zum Teil weit schlimmer dran als ich. Kopfschuss, Bein weg, Bauch aufgerissen — nein, ganz so übel stand es mit mir nicht. Aber immer nur warten in dumpfer Ergebenheit, das machte niedergeschlagen und grüblerisch.

Ich dachte darüber nach, ob der Mensch imstande sei, sein Schicksal mitzubestimmen. 3mal war ich gewarnt worden – ohne darauf zu hören.

 

Der nächste Tagebucheintrag folgt am 24.3.

  1. Wie meint er das, dass er 3x gewarnt worden wäre? Habe ich etwas verpasst?

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  2. Nein, das beschreibt er in den kommenden Beiträgen. Wobei die Warnung nicht wörtlich zu verstehen ist. Ich würde es so bezeichnen, dass er im Nachhinein böse Omen sah.

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  3. Ich glaube auch, dass er die Geschehnisse um ihn herum (siehe Einträge vom 20. und 21. 3.)sowie den ersten ‚Streifer‘ seines Knöchels rückblickend als ‚Warnschüsse‘ versteht, die er nicht ernst genommen hat.

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